Fortsetzung für die Reihe der Literaturnachmittage in Nartum – Hildegard Kempowski liest vor
Bericht aus der Zevener Zeitung vom 09.04.2019 von Bernhard Jung
Es ist Kaffeezeit, und damit beginnt der Literaturnachmittag der Kempowski-Stiftung. Urgemütlich ist es im Restaurant des „Nartumer Hofes“, die Zeit scheint ein wenig stehen geblieben zu sein. Die Stühle erinnern an einen Rittersaal, an den Wänden und in den Vitrinen Bilder und Bücher von Walter Kempowski und seiner Zeit. Keine saalfüllende Massenveranstaltung, sondern eine recht kleine Runde ist gekommen, um den Geist Kempowskis zu spüren, dessen Bücher die meisten der Anwesenden wohl schon gelesen haben. Unauffällig mischt sich da auch die Grand Dame der Kempowski-Stiftung unter die Zuhörer. Hildegard Kempowski drängt sich nicht in den Vordergrund, höchstens ein paar Bemerkungen, wie gut der Kuchen heute wieder schmeckt und stets unter Begleitung ihres Hundes Nelly.
Man schaut sich die ausliegenden Bücher an und findet dort auch Kempowskis „Einfache Fibel“ aus dem Jahre 1980, er war ja Lehrer.
Irmela von Lenthe eröffnet die Runde mit einer kurzen Biografie Walter Kempowskis. Aufgewachsen im Rostocker Bürgertum, „das waren noch Zeiten“, unangepasste Flegeljahre und lieber Jazz als das Horst-Wessel-Lied. Und dann der Krieg, „alles im Eimer“.
„Uns geht’s ja noch gold“, dieser Buchtitel über die Zeit war schon bittere Ironie, typisch Kempowski. Geschichte und Leben, so wie es war und ist, sehr authentisch das alles. Seine ironische Gleichgültigkeit zum Zeitgeschehen ist gespielt, dahinter steckt so einiges an Tiefsinn. Die Literatur hatte es dem jungen Mann schon immer angetan, und die lässt sich ja Gott sei Dank weder verbrennen noch totschießen. Im Autokorso geht’s dann zum Haus Kreienhoop, ein Haus wie ein lebendiges Museum mit Archiv und Wohnstätte von Hildegard Kempowski. Hier liest sie aus dem Roman „Uns geht’s ja noch gold“, und sie ist eine hervorragende Vorleserin. Hamburg in der Nachkriegszeit und der junge Walter Kempowski war dort bei der Verwandtschaft gar nicht so willkommen, alles war knapp und dann noch teilen. Wie soll das nur gehen? Dann nach Wiesbaden, Arbeit bei den Amis, war eine gute Zeit.
Mit Naivität und im jugendlichen Leichtsinn zurück nach Rostock in die Sowjetzone zu den Russen. „Ganz schön blöd“, so hat Kempowski wohl diese Nachkriegsreise beschrieben.
So etwas mitten im Beginn des kalten Krieges, das konnte ja nicht gut gehen. Verhaftung wegen angeblicher Spionage und Verurteilung zu 25 Jahren Gefängnis, auch seine Mutter und sein Bruder mussten für Jahre hinter Gittern. Das schmerzte Kempowski noch mehr, als seine eigene Zeit im Gefängnis der damaligen Sowjetzone. Nach acht Jahren wurde er vorzeitig entlassen und sah zu, dass er rauskam aus diesem Teil Deutschlands. „Im Block“ hatte er seine Erinnerungen zu Papier gebracht, doch dieses, sein erstes Buch war nicht der große Durchbruch, der kam jedoch danach, mit „Tadellöser & Wolff“ landete er auf Platz eins der Bestseller-Liste des „Spiegel“.
Ein Angepasster war Kempowski nicht und er war nie ein Intellektueller, den bloß die Umstände aufs Land verschlagen hatten. Vielmehr konnte es ihm gar nicht provinziell genug zugehen. Der PEN-Club war ihm zu elitär und linkslastig und vom Kommunismus hatte er nach acht Jahren Knast in Bautzen genug. So kam er nach Studium in Göttingen als Lehrer nach Breddorf und fühlte sich dort pudelwohl.
Begann dort mit Fleiß zu schreiben, Zeitdokumente in unendlicher Zahl zu sammeln und Geschichten über Geschichte zu schreiben, und zwar über die der Deutschen in der Zeit nach dem Krieg. Ehrenbürger seiner Heimatstadt Rostock ist er, dort ist ihm ein Museum mit Archiv und eine Straße gewidmet. In Nartum fand er sein zweites Zuhause und fühlte sich wohl. In diesem Jahr wäre er 90 Jahre geworden.