Dienstag, 31 Dezember 2019 17:26

Die Seele des Hauses Kreienhoop, sie lebt nicht mehr

Geschrieben von
Artikel bewerten
(3 Stimmen)
Hildegard Kempowski, so wie man sie kannte: In ihrem Element im Literatur-Turm des Hauses Kreienhoop, wo sie Interessierten die Grundkonzeption des Hauses erläuterte. Mit 84 Jahren ist sie im August 2019 gestorben. Hildegard Kempowski, so wie man sie kannte: In ihrem Element im Literatur-Turm des Hauses Kreienhoop, wo sie Interessierten die Grundkonzeption des Hauses erläuterte. Mit 84 Jahren ist sie im August 2019 gestorben. ZZ

„Was haben Sie denn von Walter Kempowski gelesen?“: Mit diesem Satz empfing Hildegard Kempowski gerne Gäste im Haus Kreienhoop in Nartum. Im August dieses Jahres ist sie gestorben, mit 84 Jahren. Mehr oder weniger überraschend, nichts hatte im Vorfeld darauf hingedeutet.

Bericht aus der Zevener Zeitung vom 31.12.2019 von Joachim Schnepel

Ich erfuhr in meinem Urlaubsdomizil auf dem Darß bei der Frühstückslektüre einer Rostocker Tageszeitung vom Ableben Hildegard Kempowskis. Und war entsprechend geschockt, als ich die Nachricht in Form einer kleinen Notiz mit Bild las. Erst im Juni hatten wir uns noch gesehen und kurz miteinander gesprochen, bei einer Lesung des Schauspielers und Kempowski-Freundes Jens Weisser im Rahmen der Literaturnachmittage im Haus Kreienhoop. Es sollte ihr letzter öffentlicher Auftritt sein. Aber damals wussten wir beide noch nichts davon.

Hildegard Kempowski konnte schon forsch und direkt sein. Immer jedoch brachte sie ihren Gästen ein aufrichtiges Interesse entgegen, ihr Auftreten war stets ungekünstelt und authentisch. Tatkräftig sorgte die Witwe Walter Kempowskis nach dem Tod ihres Mannes dafür, dass das Haus Kreienhoop der gastfreundliche Ort blieb, der er immer gewesen war und als öffentliche Stiftung auch bleiben sollte.

Herzlich begrüßte sie das Publikum zu Autorenlesungen und Musikabenden, las bei den Literaturnachmittagen regelmäßig aus dem Werk ihres Mannes und erzählte bei Hausführungen so erfrischend aus dem Leben des Schriftstellers, dass man glauben konnte, er säße nebenan am Schreibtisch und käme gleich dazu. Hildegard Kempowski ermunterte die Gäste stets, sich das Haus anzuschauen, Fragen zu stellen oder wiederzukommen. Nicht wenige folgten der überaus herzlich gemeinten Einladung, darunter neben Literaturinteressierten auch viele Studenten und Forschende, die sich mit der Literatur und dem Werk Walter Kempowskis näher auseinandersetzen wollten oder von Berufs wegen mussten.

Kennengelernt hatte Walter Kempowski die aus Oyten bei Bremen stammende Pastorentochter Hildegard Janssen 1956 in Göttingen, wo beide Pädagogik studierten. Sie trafen sich allerdings nicht in einer Vorlesung, sondern in der Tanzstunde: „Pausenlos hat er mich auf dem Tanzboden zum Lachen gebracht. Dabei neige ich zur Schwermut“, erinnerte sich Hildegard Kempowski später. Die zwei waren sich schnell sicher, den Partner fürs Leben gefunden zu haben. Und so gingen sie als frischgebackenes Lehrerehepaar im Frühjahr 1960 gemeinsam an die Dorfschule in Breddorf im Kreis Rotenburg. Einige Jahre später folgte die Versetzung nach Nartum. Da hatten die beiden Kinder, Karl-Friedrich und Renate, bereits das Licht der Welt erblickt.

Dass der Mann an ihrer Seite große literarische Ziele verfolgte, wusste Hildegard Kempowski von Anfang an. Doch es schreckte sie nicht. In den 1980-er Jahren – Walter Kempowski gehörte bereits zu den erfolgreichen deutschsprachigen Autoren – bekannte sie in einem ihrer seltenen Interviews: „Mein Leben ist recht ungewöhnlich neben diesem Mann!“

Eine Formulierung, die zumindest offenließ, ob die Beziehung mit einem arbeitswütigen und für viele als schwierig geltenden Schriftsteller manchmal nicht heikle Momente bereithielt. Wie auch immer, Hildegard Kempowski wurde nie müde zu betonen: „Alles, was ich bin, bin ich durch Walter.“ Hier offenbarte sich, dass sie die Kunst des Zurücknehmens beherrschte – eine Begabung, die dank ihres pragmatischen Naturells jahrzehntelang zur Stabilität in Walter Kempowskis Leben beitrug.

In einem Interview mit der ZEVENER ZEITUNG vor einigen Jahren anlässlich ihres 80. Geburtstages sagte Hildegard Kempowski, sie habe immer gern auf dem Dorf gelebt. Sie fühle sich wohl mit den Menschen hier. Sie sei sehr behütet aufgewachsen, so die Pastorentochter. Und sie habe auch keinen „Horror“ vor dem Friedhof gehabt: „Ich bin da nicht so empfindlich wie meine jüngere Schwester“, verriet sie damals.

Als verbindendes Motiv des Werkes ihres Mannes benannte Hildegard Kempowski die Koppelung von Komik und Tragik. Sie selber sehe das Leben so, dass alles vorbestimmt sei. Und zwar von ganz oben. Und dann dieser eine rätselhafte Satz von ihr, der mir bis heute nicht aus dem Kopf geht und der da lautete: „Das Schicksal ist böse, so furchtbar böse.“ Davon sei sie überzeugt. Da hätte ich, gute journalistische Tugend, mehr nachfragen müssen, was sie denn damit meine. Doch ich war so beeindruckt von diesem gewaltigen Statement, dass ich es unterließ, wohl auch aus Ehrfurcht vor der Grande Dame und Witwe eines großen Schriftstellers aus Nartum. Das habe ich versäumt, wie ich wohl weiß. Jetzt ist es dafür leider zu spät.

Allerdings schlug sie am Ende des Interviews auch wieder versöhnlichere Töne an, als sie versicherte, durch das Leben an der Seite ihres Mannes hundertprozentig bereichert worden zu sein. Sie habe Menschen kennengelernt, die sie sonst nie treffen würde. Und der Reichtum an Literatur im Hause Kreienhoop reiche für 200 Lebensjahre – mindestens.

Für sie hat es nicht ganz gereicht. 84 Jahre alt ist Hildegard Kempowski geworden, bevor auch ihre Stimme und damit die Seele des Hauses Kreienhoop verstummte, fast zwölf Jahre nach der ihres Mannes. Allen, die sie kannten, wird sie in prägender und guter Erinnerung bleiben, auch mir.

Gelesen 4457 mal Letzte Änderung am Sonntag, 05 Januar 2020 17:31